Floccinaucinihilipilification?

Früh erlernt

​Überkritisches Verhalten uns selbst gegenüber erlernen wir früh: Als scheinbar notwendiges "Motivationsinstrument" internalisieren wir es über Interaktionen mit "wichtigen Anderen", zB Bezugspersonen, wie unseren Eltern, Großeltern, Geschwistern, Lehrer:innen, Trainer:innen, etc. 

In diesem BlogPod-Artikel biete ich dir eine alternative Selbstbeziehungs-Haltung an, die hilfreich sein könnte - who knows.

Floccinaucinihilipilification = the action or habit of estimating something as worthless.
Oxford dictonary

Kritisierender "(Selbst-)Umgangsstil"

Vermutlich gehört unsere Tendenz zur Selbst-Entwertung zu den Nachteilen des Lebens in einer Gesellschaft, die großen Wert auf Unabhängigkeit und individuelle Leistung legt. Die Schuld bei uns zu suchen, wenn wir unsere - zugegebenermaßen manchmal (nicht immer!) durchaus "überhöhten" - Idealitäten nicht verwirklichen können oder - und ja, das soll vorkommen - das Leben "unschöne" Verläufe nimmt, "Schmerzen" verursacht oder fatalistischer mit Samuel Beckett: "You are on earth. There's no cure for that."

​Fraglich ist, ob dieses erlernte Selbst-Verhalten - gerade in herausfordernden oder/und überfordernden Lebenslagen - hilfreich ist. Es könnte sogar schädlich sein, denn dieser kritisierende "(Selbst-)Umgangsstil" wird als "persönlichkeitsnaher Vulnerabilitätsfaktor" sogar mit depressiven Störungen in Verbindung gebracht.

Alternative: Self-Compassion

Ein alternatives, möglicherweise hilfreicheres Selbstbeziehungs-Angebot bietet das Konzept der "Self-Compassion" (Neff, 2011). Es stammt ursprünglich aus der buddhistischen Philosophie ("Metta-Meditation") und wurde von Neff (2011) in den psychosozialen Kontext übertragen, konzeptualisiert, sowie ausführlich beforscht. Neben Achtsamkeit ("achtsames spüren was da ist"), einem Gefühl für die gemeinsame menschliche Erfahrung ("es ist normal", "anderen ergeht es ebenso", "ich bin nicht alleine mit meinen Lebensthemen") stellt die selbstbezogene Freundlichkeit  eine zentrale Dimension in diesem Konzept dar. 

Es geht - einfach dargestellt - darum zu erlernen, einzuüben, ein Stück weit weniger (ent-)wertend, sondern anstattdessen freundlicher, freundschaftlicher, mitfühlender (nicht mitleidend!) mit uns im Selbst-Umgang zu werden – besonders, wenn es gerade "schwierig" ist, wir mit herausfordernden Lebensanforderungen, Entscheidungen, etc. zu tun haben - im "Problemsumpf" stecken.

Dazu können wir uns beispielsweise folgende Fragen stellen:
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• Wann hast du dich das letzte Mal mit derselben Freundlichkeit und Fürsorge, mit demselben Mitgefühl behandelt, das du einem guten Freund, einer guten Freundin entgegenbringen würdest?
  
  

• Wie würde eine dir gut gesinnte, verständnisvolle Freundin, ein guter Freund in dieser (für dich vielleicht schwierigen) Situation agieren? Was würde sie/er dir möglicherweise sagen? Was würde sie/er dir möglicherweise raten?
  
  
• Vielleicht würde dich eine gute Freundin, ein guter Freund ein Stück weit trösten, möglicherweise sogar in den Arm nehmen ? Wie könntest du dir durch Berührungen körperlich "Freundlichkeit", "Empathie", "Trost" spenden? (Stichwort: Self-compassionate touch")​​

Supportive touch

​Eine aktuelle Studie (Susman, 2024) hat gezeigt, dass sogenannter "Self-compassionate touch" oder auch "Supportive touch" - frei übersetzt "unterstützende Berührungen" ("Hand aufs Herz", "die Wangen streicheln", "sich umarmen") - viele positive Effekte auf uns hat. Unter anderem aktiviert diese Art der Selbst-Praktik, wenn wir sie täglich für ein paar Sekunden einüben, unseren Parasympathikus ("Ruhenerv"), reduziert das Stresshormon Kortisol, erhöht das "Liebes- und Kuschelhormon" Ocytocin - wirkt somit stressregulierend, beruhigend, angstreduzierend und fördert Sicherheits- , Geborgenheitsgefühle.

Begründet wird dies dadurch, dass wir, respektive unser Nervensystem, evolutionär bedingt "Berührungen" mit Fürsorge und Sicherheit verbindet ("signal of care"). Finde heraus, welche Form der Berührung dir hilfreich ist. Vielleicht ist dir das YouTube-Video von Kristen Neff mit konkreten Beispielen eine gute Anregung.

Die Welpen-Metapher

Um Kund:innen die o.a. Idee der "Selbstfreundschaft" zu veranschaulichen, verwende ich gerne das Bild eines "jungen Welpen": Wir Menschen könnten uns als "lernendes Wesen" verstehen. Tagtäglich lernen wir dazu, versuchen Neues, manches misslingt uns und wir probieren etwas ander(e)s. Ganz nach Samuel Beckett's berühmten "Mantra": "Ever tried. Ever failed. No matter. Try again. Fail again. Fail better."

Wie gehst du mit dir selbst um, im (beruflichen) Alltag, in Beziehungen, wenn dir etwas misslingt oder - das soll ja durchaus vorkommen - wenn es schwierig wird in deinem Leben Verständnisvoll, warmherzig, freundlich, respektvoll, mitfühlend, wie mit einem "jungen Welpen", einem Lernwesen, oder ... 

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Quellen

• Neff, K., (2011). Self-Compassion. New York: HarperCollins.
• Neff, K. (2024). Supportive Touch. Verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=YHWgjKCTOc4  [1.6.2024].
• Susman, E., Chen, S. Kring, A.M., Harvey, A.G., (2024). Daily micropractice can augment single-session interventions: A randomized controlled trial of self-compassionate touch and examining their associations with habit formation in US college students. Behaviour Research and Therapy 175 (2024) 104498